Der aufrechte Gang

Benita Cantieni schreibt regelmässig in der Zeitschrift ‘Generation Superior’ ihre Kolumne. Aus der aktuellen Frühlingsausgabe ist dieser Beitrag.

Manchmal muss man sich zwingen

Premiere des Stückes „Wanderful“ im Theater am Hechtplatz in Zürich mit Gardi Hutter, Sandra Studer, Michael von der Heide. Ein triobiographisches Musikstück. Gardi ist schon ziemlich nahe am „Generation Superior“-Alter, in der Folge kurz GSA, und die Akrobatin unter den drei Künstlern, von der körperlichen Ausstrahlung her die jüngste der drei.

Die Freundin, die mich begleitet, noch weit unter dem GSA, humpelt. Sie kann kaum stehen. Kaum gehen. Kaum sitzen. „Ischiasnerv“, sagt sie, „plagt mich seit Wochen“. Ich wage es nicht, zu fragen, wozu denn der Yoga gut sei, den sie seit Jahren unregelmäßig absolviert. In der Pause treffen wir die Bekannte A., auch noch ein bisschen unter GSA, wir freuen uns über das Wiedersehen. A. fragt sich einen Stuhl frei, „ich kann nicht sitzen mit meinem Rücken“, sagt sie entschuldigend und plumpst muskelhaltlos auf den Stuhl. Auch sie machte jahrelang Yoga, zuweilen nachgerade fanatisch.

Da erkenne ich T., mindestens 20 Jahre unter GSA. Dieser schöne Kopf, vom Vater geerbt, diese tiefe Stimme, dieses raumfüllende Lachen. Doch etwas stimmt nicht am Bild, ich schaue an mir herunter, schaue zu ihm – mehr oder weniger geradeaus. „Vor 30 Jahren habe ich zu dir aufgeschaut, du hast mich um mehr als einen Kopf überragt“, sage ich. Er zuckt die Schultern, meint grinsend: „Das macht das Leben.“

Nun liegen zwischen der letzten Zeile und dieser eine USA-Reise und eine Grippe als Souvenir, vier Wochen Husten. Und das macht mich jetzt demütig: Ich kann nachfühlen, wie das ist mit der Unlust. Ich musste mich zwingen, trotzdem zu trainieren. Nein, kein Sport, keine Anstrengung, das zwerchfellgerechte Husten war anstrengend genug, einfach nur täglich bewegen, so gut es ging, und dreimal in der Woche etwas von meinem Qualitätstraining für Muskeln und Gelenke. Das tat den Knochen gut, sie schmerzten nur ein bisschen. Doch kein Vergleich mit der Zerschlagenheit, die ich von früheren Grippen noch in der Knochenerinnerung habe.

Jetzt bin ich wieder einigermaßen fit, steige auf den Hometrainer, pflüge gemächlich durch den Winterwald, genieße es, mich wieder richtig bewegen zu können.

Ja, manchmal muss man sich zwingen, dranzubleiben. Ja. Ja. Ja. Tun Sie es. Unter allen Umständen. Geben Sie dem Körper, was er braucht.

Zum Ausfüllen der Steuererklärung zwinge ich mich auch. Zum Aufräumen des Kellers. Zum Abtragen der Papierberge. Ich zwinge mich auch zum Bügeln, weil meine vielen schwarzen Blusen und Hosen bei Fremdbügeln jenen unangenehmen Schimmer kriegen, den das zu heiße Eisen hinterlässt. Diese Zwänge machen nur bedingt Spaß.

Die Selbstüberwindung zum Trainieren verwandelt sich sofort in Wohlbefinden, in gute Laune, in Unternehmenslust – und in Freude über sich selbst.

Ja, je älter wir werden, um so mehr brauchen wir den Tritt in den eigenen Hintern. (Was? Sie kommen nicht mehr hoch mit Ihren Füssen? Höchste Zeit, das zu ändern.) Und um so wichtiger wird er, der Tritt.

Ich beobachte das bei vielen Menschen über 60. Es braucht wenig, um sie aus der Bahn zu werfen, und wenn sie sich nicht aufrappeln – zwingen –, altern sie so schnell, es kann dabei zugesehen werden. Vielleicht war das bei den drei Bekannten auch so. Zuviel um die Ohren. Nicht so gut beisammen. Viel auf Reisen. Und plötzlich waren sie aus der Gewohnheit der guten Haltung und der regelmäßigen Bewegung heraus gefallen, sie ließen sich gehen, beziehungsweise gingen eben nicht mehr, und sogleich wurden die Ausreden die beste Zuflucht. Man wird halt nicht jünger. Da kann man nichts machen. Das ist das Alter. Wir sind halt einfach eine Fehlkonstruktion.

Ich höre dann meistens noch irgendetwas wie: „Ja du hast halt gute Gene.“ Habe ich nicht. Ich habe einen gut trainierten Fuß und ein bewegliches Knie für die Selbsttritte in den Hintern. Und wenn das auch nichts nützt, sehen und hören Sie sich ein Stück von Gardi Hutter an und lassen Sie sich anstecken von ihrer überbordenden Körperlichkeit. Sie wird auch im GSA noch Purzelbäume schlagen, da bin ich ganz sicher.

Zwingen Sie sich liebevoll und furchtlos, ich tue es auch.

Herzgruß, Ihre

Benita Cantieni

PS: Ich habe nichts gegen den Yoga an sich. Ich habe viel gegen Alibi-Yoga, das sich auf 3000 Jahre Geschichte beruft und keinerlei Qualität bietet. Hören Sie auf Ihren Körper, wenn ein Training Schmerzen und Schäden verursacht, statt sie zu beheben oder zu verhindern, dann ist es einfach nicht gut. Schon gar nicht gut genug für Sie!

www.cantienica.com/training

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