Die Rolex und der zeitlose Beckenboden

Eine Hauseinweihungsparty. Angenehme, kultivierte Menschen. Die meisten spielen Golf. Einige privatisieren. Manche tun beides.

Weisswein, Prosecco, Wasser, Orangensaft und leckere Häppchen.

„Sie sind doch so gesund“, sagt die Gastgeberin, reich geschieden und Künstlerin. „Hier habe ich Karotten für Sie.“

Das fängt ja gut an. „Sie sind doch so gesund“, soll wohl heißen: Sie stehen im Ruf, genußfeindlich zu sein.

Ich nehme dankend das Glas mit dem kühlen Weißwein an. Und meine ein kleines Seufzen der Erleichterung zu vernehmen, so in der Art, „ach, die ist ja gar nicht so schlimm“.

Die Schachtel mit dem Orangensaft wird diskret hinter dem Sofa versteckt. War wohl für mich gedacht.

Tja, so „gesund“ denke ich schon, wenn Orangensaft, dann bitte frisch gepresst, nicht aus dem Tetrapack.

Annähern, abtasten, kennenlernen.

Und immer wieder an solchen Anlässen die Überraschung, wie wenig Menschen die gute, unvoreingenomme Frage kennen.

Wer sind Sie?

Wie kommen Sie an diesen Anlass?

Woher kennen Sie Frau X oder Herr Y?

So in der Art.

„Sie sind doch die mit diesem Fitnessstudio, das Geschäft kann doch gar nicht laufen.“ Doch, es läuft sehr gut. „Ah, Sie sind die zweimal Geschiedene!“ Oder: „Aja, Sie leben doch schon so lange allein.“ Gefolgt von „… das habe ich jedenfalls gehört.“ Noch lieber sind mir Sätze wie: „In Natura sehen Sie aber viel jünger aus.“ Gefolgt von: „Ich habe Sie nicht so grau in Erinnerung.“ Gemeint sind die grauen Haare. Mein absoluter Favorit ist: „Sie sehen aber wirklich noch gut aus für Ihr Alter.“ Betonung auf aber.

So plätschert der XS-Talk, bis eine Frau sagt: „Sie sind doch die mit dem Beckenboden. Aber ist der jetzt nicht langsam wieder out?“

Ich stopfe ein belegtes Pumpernickelchen in den Mund, wohl auch aus der Ecke für die „Gesunden“, kaue langsam und sage schliesslich: „Ist er wieder aus der Mode gekommen, der Beckenboden? Sosso.“

Ich hätte mich durchaus verschlucken können an dem Satz. Das ist so, als würde das Knie aus der Mode kommen. „In diesem Herbst haben wir das Knie nicht im Angebot, es ist aus der Mode.“ Oder das Kleinhirn. „Sie! Das hat sich im Sommer ganz schlecht verkauft. Passte einfach nicht zum neuen Grün.“ Oder das linke Auge. Wer braucht schon zwei Augen. Zu den trendy Karos passt ein einzelnes Auge viel besser.

Nein. „Der Beckenboden“ ist nicht aus der Mode gekommen. Wird auch nicht so schnell geschehen.

Im örtlichen Studio für Krafttraining wissen sie immer noch nicht, dass es ihn gibt. Jedenfalls wurde er in zwei ausführlichen Einweisungen nicht einmal erwähnt. Kein einziges Mal. Da geht es wie vor 50 Jahren um den Bizeps und den Trizeps und den Gluteus und den Pectoralis und den Quadrizeps.

In meinem Amerika-Urlaub sah ich mich bei Büchern, DVD, CD um. Yoga, Pilates, Krafttraining, Bollywood-Workouts mit bauchtanzartigem Shamble, was immer das heisst. Alle reden von Core Training, keiner meint wirklich Tiefenmuskulatur. Ist mal von Pelvic Floor die Rede, sind die Schließmuskelpressübungen des guten, alten Dr. Kegel aus den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts gemeint.

Da ist „der Beckenboden“ noch nicht mal in Mode gekommen, also noch weit entfernt von veraltet. Sie können ihn mit Stolz und Gusto noch mindestens zwei Saisons tragen, und dann ist er auch Secondhand noch ganz passabel.

Vielleicht ist es bei uns aus der Mode gekommen, dass die Vorturnerin in jedem wollmausbeseelten Kellerstudio sagt, „und jetzt den Beckenboden anziehen“, und dazu doch nur zeigt, wie das Becken gekippt, die Hüftgelenke gestaucht, die Kreuzbeingelenke verschoben werden. Das schadet und schwächt die Knochen, Sehnen, Bänder, Muskeln. Und tut für den Beckenboden gar nichts.

Wenn dieses Aufsitzen auf einen fahrenden Zug, ohne den Weg oder das Ziel zu kennen, wenn das aus der Mode gekommen ist, das finde ich prima.

Zurück zur Party. „Aha, Sie machen dieses Beckenbodenzeug also noch?“ springt eine andere Frau auf den fahrenden Talk-Zug.

Ja, ich mache dieses Beckenbodenzeug noch. Weil meine Methode alle Muskeln am Körper trainiert, nicht nur die modischen. Und die Beckenmuskeln sind nun mal das Fundament für den ganzen Körper, sie sind das Fundament für eine gesunde Wirbelsäule, für reibungslos funktionierende Füsse und Knie und Hüftgelenke und … dazu mache ich, unsichtbar für die Außenstehenden, zwischen Vaginahinterwand und Levator-Ani-Hals kleine Achterbewegungen, das setzt mein Steissbein in klitzekleine Bewegungen, ich spüre, wie meine Beckenhälften in vertikale Schwingungen kommen und Wärme durch mein Knochenmark hoch steigt. Ich werde schwerelos. Ich denke: „Wenn ihr wüsstet, wie wunderbar dieses altmodische Beckenbodenzeug ist …“, hab’s heimlich lustig in der Hose und wechsle das Thema.

Sie möchten jetzt gerne wissen, wie das geht mit dem Levator ani und dem achternden Steissbein und dem tanzenden Kreuzbein.

Für die zeitlose Rolex unter den Beckenbodentrainings müssen Sie halt schon investieren. Interesse. Zeit. Disziplin. Ein bisschen Geld fürs Studio oder die Privatlektion oder wenigstens für ein Buch. Und ein bisschen Köpfchen, das braucht es auch für die Wiederbelebung der Körperintelligenz. Ich hoffe, sie wenigstens komme nicht so schnell ganz aus der Mode, die Intelligenz an sich.

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